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Takemusu Aikido in Kyoto

Michael Kipp • Dez. 08, 2019

Ein Reisebericht aus Japan, Oktober 2019, von MK

Angekommen bin ich in Tokyo, Haneda Airport, und sogleich mit dem Shinkansen nach Kyoto weitergereist. Der Japan Rail Pass, ein verbilligtes Zugticket für Touristen, machte dies möglich. Nach den ersten Impressionen habe ich einen Spaziergang durch die Straßen von Kyoto, der Stadt der tausend Tempel, unternommen, mit dem Ziel, das Aikido Dojo zu finden. Verblüfft von der Lage und der Erreichbarkeit bin ich dann am folgenden Abend mit meinem Do-Gi erneut zum Dojo aufgebrochen, damit ich an der ersten Übungseinheit teilnehmen konnte. Natürlich war ich viel zu früh vor Ort, wurde jedoch von Higuchi Sensei herzlich empfangen. Das Geschenk, zwei besondere Weine aus der Pfalz, an den Sensei hatte ich von zu Hause mitgebracht und überreichte es. Da die sprachliche Barriere zwischen uns doch zu groß war, kam leider kein Gespräch zu Stande, stattdessen übergab mir Higuchi Sensei ein Buch von Saito Sensei, welches ich in dieser Form noch nicht kannte. Ich konnte mir nur die Bilder anschauen, da das Schriftbild in Katakana oder Hiragana geschrieben war.

Mit dem Eintreffen der ersten Aikidoka gesellten sich zwei nette Menschen an unseren Tisch, die bei der Übersetzung halfen und mich in Obhut nahmen. Jene Freundlichkeit, die mir entgegengebracht wurde, konnte ich nur erwidern, da die Gepflogenheiten sehr rituell abliefen. Natürlich hatte ich die Hoffnung, keine Fehler zu begehen, welche die Etikette verletzen würden.

Das Gebäude war wie ein dreistöckiger Pagoden-Tempel aufgebaut. Im Erdgeschoss war der Sitz des Sensei, und über eine Treppe konnte ich in den zweiten Stock zur Umkleide gelangen. Auf einem kleinen Aiki Schrein stand eine Statue von O Sensei und daneben ein Tisch mit Räucherwerk. An der Wand waren diverse Bilder von Morihei Ueshiba und Higuchi Sensei zu sehen.


Als ich meinen Gi und den Hakama angelegt hatte, ging es in den dritten Stock. Dort waren die Tatami ausgelegt und der eigentliche Übungsort, das Dojo. Die Aufwärmphase war nach freier Wahl zu gestalten, und ich dehnte mich, mit den mir vertrauten Bewegungsübungen. Neugierig beobachtete ich, wie jeder Aikidoka begrüßt wurde und sich mit der Zeit das Dojo füllte. Die Verneigung wurde allen Ankommenden zuteil, und ich stellte mich persönlich vor. Michael San, so wurde ich für die Zeit im Dojo gerufen. Als gegen 19.00 Uhr die Unterweisung begann, kam auch Sensei Higuchi hinzu. Wir nahmen in der traditionellen Seiza-Sitzhaltung unsere Plätze ein und führten die traditionelle Begrüßungszeremonie durch. Dabei verneigten wir uns zwei mal gen Shomen und klatschten vier mal in die Hände.

Los ging es mit Tai no henko, dann Irimi Nage und weiter mit Kokyo Nage. Es wurde nicht geworfen, da der Platz im Dojo doch recht eng war. Ich fühlte mich wie zu Hause, da mir die Übungen doch vertraut waren. Natürlich waren die ersten Berührungen noch verhalten, aber mit zunehmender Intensität sogleich der Übung angepasst. Es war von Anfang an ein sehr angenehmes Gefühl, dass ich in mir verspürte. Die Abläufe und die Struktur der Übungen, welche Higuchi Sensei vorführte, waren entsprechend der Harmonie geschuldet, welche das Prinzip „Ai“ im Aikido zur Verfügung stellt.


Ich war innerlich sehr ergriffen und voller Glücksgefühle, dass ich überhaupt in einem japanischen Dojo aufgenommen wurde, als Student oder besser gesagt als Soto Deshi. An diesem Abend war es doch noch sehr warm und schwül, sodass ich mich nicht wunderte, sehr schnell und stark ins Schwitzen gekommen zu sein. Zum Glück hatte ich ein kleines Handtuch eingepackt, welches ich zur Hand hatte. Nach einer Stunde war die Unterweisung durch Higuchi Sensei beendet und wir grüßten im Seiza ab. Nach einer kurzen Pause ging es für eine halbe Stunde weiter. Im „Special Keiko“ wiederholten wir die gezeigten Techniken, dabei gingen wir auf die Einzelheiten und Details ein, wobei mir dann auch klar wurde, welche Raffinessen an einigen Stellen zur Geltung gekommen waren. Mein erster Abend war vollbracht, und ich bedankte mich von ganzen Herzen für die Aufnahme im Dojo und fragte natürlich, ob ich wieder kommen dürfe. Mir wurde mitgeteilt, dass am kommenden Mittwoch zur gleichen Zeit eine Übungseinheit stattfinden würde. Glückselig verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg in mein Hotel.

Am Mittwoch Abend kam ich pünktlich im Dojo an, verneigte mich höflich zu Higuchi Sensei und begab mich sogleich in das zweite Stockwerk, wo ich meinen Gi anlegte. Nach der Aufwärmphase begannen wir mit Tai no Henko. Diese Technik gilt als Grundübung und wird, wie auch in unserem Dojo, immer zu Beginn praktiziert.

Direkt im Anschluss fand dann eine Prüfung zum vierten Dan statt, welche ich als Uke begleiten durfte. Higuchi Sensei forderte mich auf, „Ichi no Ken Suburi“ und „Jo Tsuki“ zu zeigen. Für die weiteren Prüfungsinhalte waren im Tai Jutsu jeweils drei Übungen, als San-Bon zu absolvieren. Meine Aufmerksamkeit war nahezu bei 120% Prozent, und ich war wie ein Schwamm, der alles aufsog. Das Vakuum in mir verdichtete jede Berührung, jede Führung und jeder Angriff waren ein Erlebnis. Ich hatte ein echtes Gefühl, angekommen zu sein und ein Teil der Gemeinschaft des Dojo zu sein. Was sich im späteren Verlauf dann bestätigte, da ich zum gemeinsamen Essen eingeladen wurde, was mich sehr erfreute. Ich hatte mir eine Liste mit Speisen erstellt, die ich essen wollte. Sie umfasste unter anderem Gyoza, die Teigtaschen, und Ramen, die Eierteignudeln, welche in einer köstlichen Suppe gereicht wurden.

Nach dem Essen wurde ich zu einem gemeinsamen Ausflug eingeladen, welchen ich natürlich nicht ausschlagen wollte. Eine unglaubliche Gastfreundschaft wurde mir zuteil, und ich hatte das Gefühl, hier Freunde gefunden zu haben, welche sich um mich bemühten, Geschenke und Überraschungen bereit hielten, die mich fast außer Fassung brachten. Darunter wurden mir zwei wunderschöne Fächer überreicht, die die mythologische Geschichte vom Hasen und dem Frosch darstellen. Für die entgegengebrachte Gastfreundschaft konnte ich mich nur zutiefst verneigen und meinen herzlichsten Dank aussprechen.


Im Anschluss an das gemeinsame Essen besuchten wir das Koka Ninja Haus, welches im 1600 Jh. durch Mochizuki Izumonokami erbaut wurde und das einzige Gebäude ist, dass als die Geburtsstätte der Kampfkunst „Ninjutsu“ gilt.

Am Abend des gleichen Tages machte ich mich noch auf den Weg, das älteste Dojo in Japan, das „Butokuden“ zu besuchen, da ich wusste, das jeden Abend eine Übungseinheit im Kendo abgehalten wurde. Da die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Kyoto absolut problemlos von statten ging, kam ich frühzeitig im Butokuden an und war absolut überwältigt von der Größe und der Schönheit, die sich mir bot. Alleine der Duft des alten Holzes erzeugte eine unbeschreibliche Atmosphäre, welche mich sofort in den Bann zog. Da im Aikido das Schwert (Bokken) eine bedeutende und zentrale Rolle innehat, war ich natürlich sehr daran interessiert, die Kendoka zu beobachten und meine Kenntnisse zu erweitern. Der ersichtliche Unterschied zwischen dem Bokken, das wir im Aikido benutzen, und dem Shinai, welches im Kendo zum Einsatz kommt, ist selbstverständlich unverkennbar: Das Shinai besteht aus länglichen Bambusstreifen, die aneinander gebunden die Schneide darstellen, wogegen das Bokken aus einem Stück Holz gefertigt ist. Die Haltung, Führung und Handhabung weisen jedoch einige Parallelen auf, die sich mir alleine vom Zuschauen erschlossen. Diese eine Stunde im Butokuden war erfüllt von jener Anmut und der tiefen Erkenntnis, das Budo im Herzen eine Botschaft der Friedfertigkeit und Ästhetik darstellt, welche ich in diesem Maße erst in Japan erfahren durfte und die jegliche Authentizität nahe legt, mit sich selbst ins Reine zu kommen.


Die japanische Sichtweise, das ein Schwert die Seele des Kriegers ist, verweist auf die Verbundenheit zwischen dem Subjekt und dem Objekt. Letztlich führt der Mensch das Schwert und vermag, den Schnitt zu bestimmen, der im Budo den eigenen, inneren Begierden und Zwängen gilt. Die äußere Form und Führung bestimmt die innere Tiefe zur Selbsterkenntnis, welche zum Wandel der persönlichen Ansichten und Einstellungen führen soll.

Higuchi Sensei hatte mir zur Begrüßung im Dojo eine Fahne gegeben, die er vom Mount Kurama mitgebracht hatte. Er hatte mir zudem den Tipp gegeben, den Mount Kurama zu besuchen, da es dort sehr schön wäre und es ein sehr spezieller Ort voller Energie sei. Am darauf folgenden Tag machte ich mich sehr früh auf den Weg und begab mich mit Bus und Bahn zu dem besagten Berg. Schon bei der Anfahrt wurde mir klar, dass ich in die Bergregion fahren und die Stadt Kyoto hinter mir lassen würde. Nach einer Stunde kam ich dann auch an. Ein kleines Dorf namens „Kibune“ lag am Fuße des Berges. Der Aufstieg ging an einigen Wasserfällen und Schreinen vorbei, die ich alle besuchte und an denen ich Inne hielt. Die Sonne schien durch die Bäume hindurch und bot mir einige unbeschreibliche Momente der Schönheit, welche die Natur in Verbindung mit den Tori und Schreinen offenbarte. Die Ruhe im Wald war trotz der anderen Besucher wahrzunehmen und lud förmlich zum verweilen, innehalten und meditieren ein.

Am Gipfel angekommen, bot sich mir eine spektakuläre Aussicht auf die umliegenden Berge. Im Zentrum vor dem eigentlichen Tempel war zentral ein Dreieck im Boden eingelassen, welches mit der Spitze zum Tempel zeigte. Dies war zugleich der energetische Mittelpunkt, den ich betrat und die Energie des Berges in mich aufnahm. Ich schenkte mir die Zeit, verweilte für einige Minuten stehend auf dem Dreieck und lies diesen Moment auf mich wirken. Ich erinnerte mich, dass an diesem Ort der Mönch und Gelehrte Mikao Usui, während seiner 21 tägigen Meditation, in Versenkung die Eingabe zum Reiki hatte.


Die Legende besagt auch, dass der Tengu, auch als der Waldgeist bekannt, die besondere Gabe der Kampfkunst besitzen würde. Ich vernahm erst im Nachhinein, welche subtile und feine Energie mich dort durchströmte, als ich die Glocke am Gipfel anschlug und ich dort die Schwingungen in mir spürte.

Zum Abschluss lies ich mir im Tempel von einem Priester ein „Shuin“ in mein Tempelbuch eintragen. Beflügelt, berührt, ergriffen und gestärkt machte ich mich auf den Rückweg nach Kyoto City. Dort angekommen, gab es ein leckeres Abendessen in einem traditionellen Lokal.


Meine letzte Übungseinheit hatte ich am Mittwoch, einen Tag vor meiner Abreise. Saito San, ein Aikidoka, kam auf mich zu und gab mir einen Zettel. Er erklärte mir, dass dies ein zeremonieller Gesang sei, den O Sensei immer vorgetragen habe, bevor er seine Unterweisungen begann. Er hatte mir eine Übersetzung gereicht, sodass ich mich an dem Gesang beteiligen konnte, was mir jedoch sehr schwer fiel. Aber die Dojo Gemeinschaft sang mit Higuchi Sensei, und sie übergaben mir als Abschiedsgeschenk eine CD mit der originalen Stimme von O Sensei, die Aufnahme war in seinen letzten Lebensjahren entstanden.

Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich für die intensive und schöne Zeit im Dojo Kyoto bedanken. Allen Menschen im Dojo bin ich zu tiefsten Dank verpflichtet und freue mich über ein baldiges Wiedersehen.


Domo Arigatou Gozaimasu,

Higuchi Sensei


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Literatur:

Hadamitzky, Wolfgang, Handbuch und Lexikon der japanischen Schrift, Langenscheidt, 1980

Pawlak, Manfred, Kyoto, die heilige Stadt, Atlantis, 1989

Ueshiba, Morihei, Budo, Kristkeitz, 1982


Internet:

https://www.jrailpass.com/de/the-japan-rail-pass-b?utm_source=google&utm_medium=cpc&gclid=EAIaIQobChMIupCTn-7c5QIVRLDtCh1wswaHEAAYASAAEgK90_D_BwE

https://www.univie.ac.at/rel_jap/an/Mythen/Tengu

https://japan-kyoto.de/die-roten-stempel-der-tempel-und-schreine-goshuin/

http://www.budopedia.de/wiki/Butokuden

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